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Judentum

Roland Kachler in der ehemaligen Synagoge

Roland kachler in der ehemaligen synagoge

Am 23. November sprach der Traumatherapeut, Diplom-Psychologe und Buchautor Roland Kachler in der ehemaligen Synagoge über „Was Traumatisierte und Täter heilen kann“. Kachler analysierte das Verhältnis von Täter und Opfer bei Gewalthandlungen und machte die komplexen Zusammenhänge deutlich: Einerseits brenne sich der Täter beim Opfer förmlich ein und werde zum „inneren Täter“, der jederzeit aktiviert werden kann, was durch absichtsvolles oder zufälliges Erleben eines Traumas der gleichen Art oder entsprechender Medienberichte zu einer Retraumatisierung führen könne. Das Opfer werde so zum psychischen Gefangenen des Täters. Äußere Verletzungen führten zu Wunden, die aber verheilten. Innere Verletzungen führten zu Erinnerungen, die wie innere Brandzeichen erhalten blieben und sich körperlich in chronischen Schmerzen ausdrücken könnten. Andererseits vollzögen die Täter im Regelfall die Täter-Opfer-Umkehr, beschuldigten das Opfer ihrer Gewalthandlungen oder bagatellisieren ihre Taten. Die Folge sei eine Erfahrung der Demütigung, Beschämung und des Verlustes der Selbstwirksamkeit beim Opfer. Heilungsarbeit müsse nach Kachler daher mit der Täterarbeit beginnen: Der Täter müsse nach außen gestoßen, externalisiert werden. Um die innere Würde zurückzugewinnen, seien äußere schützende Strukturen für das Opfer sehr wichtig. Hierzu gehöre auch eine funktionierende Strafverfolgung. Kachler erinnerte daran, wie viele Täter der NS-Zeit in den fünfziger Jahren nicht verfolgt wurden. In der Diskussion mit dem Publikum wurde deutlich, dass die Täter-Opfer-Umkehr in dieser Zeit auch ein gesellschaftliches Phänomen war: Mehrheitlich wollte man sich nach 1945 zunächst nicht mit den NS-Verbrechen auseinandersetzen, sondern verstand sich häufig als Opfer alliierter Willkür. Erst im zeitlichen Abstand begann Ende der 70er Jahre eine breite Aufarbeitung. Kachler ließ sich auf die schwierige Frage ein, ob die Grundzüge der Traumatherapie bei einzelnen Menschen auch auf ganze Gesellschaften übertragen werden könne. Er berichtete über seine Erfahrungen in der Arbeit mit Kindersoldaten in Afrika oder in der Gefängnisseelsorge. Deutlich wurde, dass hier Neuland betreten wird.

Als zentrales Anliegen seiner Arbeit stellte er die Wiederherstellung der Würde des Opfers heraus. Das kann in einer Therapie gelingen. „Gibt es auch eine Heilung der Täter?“ wurde aus dem Publikum gefragt. Der Täter müsse sich berühren lassen vom Leid der Betroffenen. Leider passiere das sehr selten. Der Theologe Kachler sprach hier vom „Wunder“ und verwies besonders auf die Erfahrungen in Südafrika. Dort hatten sog. „Wahrheitskommissionen“ in den 90er Jahren Opfer und Täter in einen Dialog gebracht, um Grundlagen für eine Versöhnung der zerstrittenen Bevölkerungsgruppen zu schaffen.

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