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Hauptstraße 37, 71686 Remseck
Judentum

Mahn-Denkmal Schießtal

Mahn-Denkmal Schießtal

An der heutigen Gemarkungsgrenze von Remseck und Ludwigsburg am Ende des Schießtals (heute Gewerbegebiet Rainwiesen) ganz in der Nähe des Neckartalradweges befand sich in der NS-Zeit eine Hinrichtungsstätte. Walter Mugler und Wolfgang Kunrath von der Stolperstein-Initiative Ludwigsburg stellten am vergangenen Sonntag in der ehemaligen Synagoge ihre Forschungen vor. Sie haben recherchiert, dass dort mindestens 26 Deserteure wegen „Fahnenflucht“ und 17 belgische und 25 französische Widerstandskämpfer hingerichtet wurden. Hintergrund ist, dass Ludwigsburg im Zweiten Weltkrieg Sitz der Militärgerichtsbarkeit war und die in Ludwigsburg und anderswo gesprochenen Urteile im Schießtal vollstreckt wurden. Ein Mahn-Denkmal soll nun hieran erinnern.
Vor 1993 gehörte das gesamte Schießtal zur Gemarkung Ludwigsburg. Im Zuge der Gründung des Zweckverbandes Pattonville, der die ehemalige amerikanische Wohnsiedlung zum Wohnbauschwerpunkt entwickelte, kam es zwischen den beteiligten Kommunen Remseck, Kornwestheim und Ludwigsburg zu einem Gemarkungstausch, der dazu führte, dass das Schießtal von Ludwigsburg nach Remseck wechselte. Der ehemalige Schießstand ist heute exakt auf der Markungsgrenze zu verorten: Der Ort des Sterbens der Hingerichteten liegt auf Ludwigsburger, der Ort der Schützen auf Remsecker Seite.
Walter Mugler stellte je einen beispielhaften Lebenslauf der drei Opfergruppen vor: Charles Lair studierte Theologie in Paris, 1938 wurde er zum Priester geweiht. Er kam in Kontakt zu einem Widerstandszirkel. 1941 wurde er Vikar in Tulle und ging dort in die Résistance. Er half beim Aufbau einer illegalen Radiostation, die er im Glockenturm der Kathedrale von Tulle platzierte. Die Radiogruppe nahm Kontakt mit der französischen Exilregierung von Charles de Gaulle in London auf. Am 20. Februar 1943 wurde er von der Gestapo verhaftet. Durch ein Sondergericht in Freiburg wurde er zum Tod verurteilt. Lair wurde im Schießtal am 23. Mai 1944, 6:30 Uhr erschossen.
Octave Mondo arbeitete als Buchhalter in der Kommunalverwaltung der Stadt Brüssel. Er war Teil des Fluchthilfenetzwerkes „Comète“. Er versteckte den jüdischen Arzt Youra Lifschitz, der im April 1943 an einer Operation zur Befreiung des 20. Deportationszuges aus Belgien nach Auschwitz teilgenommen hatte und beim Schusswechsel verwundet worden war. Lifschitz wurde aber durch einen Spitzel verraten. Octave Mondo wurde als Folge hiervon am 1. Juli 1943 verhaftet und am 22. Juni 1944 von Brüssel ins Zuchthaus Ludwigsburg eingeliefert. Am 30. Juni 1944 wurde er um 6 Uhr im Schießtal hingerichtet.
Karl Heise aus Gönningen (heute Reutlingen) entwich 17jährig im April 1944 aus der Kaserne in Reutlingen. Er hatte Heimweh und wollte nach Hause zu seinen Eltern. Dort konnte er zunächst untertauchen, wurde dann aber von einer Dorfbewohnerin verraten. Heise wurde am 9. Oktober 1944 im Schießtal hingerichtet. Die Eltern wurden wegen Verleitung zur Fahnenflucht ihres Sohnes verhaftet. Der Vater wurde wegen Wehrkraftzersetzung zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt, die Mutter wurde wegen Beihilfe zur Fahnenflucht verurteilt.

Mugler und Kunrath erläuterten viele Hintergründe, so den Nacht-und-Nebel-Erlass Hitlers vom 7. Dezember 1941. Danach wurden rund 7.000 des Widerstands verdächtige Personen aus Westeuropa nach Deutschland verschleppt und dort heimlich abgeurteilt, ohne dass die Angehörigen irgendwelche Auskünfte erhielten. Ihr spurloses Verschwinden sollte der Abschreckung dienen. Oder die sechsmalige Verschärfung der Kriegssonderstrafrechtsverordnung ab 1938: Die Zahl der Tatbestände mit Todesstrafe stieg von 3 auf 46. Schon die „Gefährdung der Manneszucht“ reichte für ein Todesurteil. Erst 2009 hob der Bundestag alle diese Urteile auf.
40 Besucher fanden sich in der ehemaligen Synagoge ein und ältere Hochberger berichteten, dass das Schießtal aufgrund der Hinrichtungen damals ein angstbesetzter Ort gewesen sei. Die Hochberger Neckarbrücke sei bei den morgendlichen Erschießungen immer gesperrt gewesen, um eine Flucht der zum Tode Verurteilten unmöglich zu machen.
Unter www.mahn-denk-mal-lb.de kann man mehr über die Opfer der NS-Justiz und das geplante Mahn-Denkmal erfahren sowie das Projekt mit einer Spende unterstützen.

Foto: Walter Mugler und Wolfgang Kunrath

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