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Judentum

Die jüdischen Stiftungen in Hochberg

Die Jüdischen Stiftungen in Hochberg

Der Dezember ist traditionell der „Spendenmonat“: 2021 lag das Spendenaufkommen (1067 Mio. €, Dt. Spendenrat) mehr als doppelt so hoch wie in den anderen Monaten des Jahres. Die christliche Tradition des Weihnachtsfestes ist hier ursächlich. Das Judentum kennt das Spenden und Stiften als ganzjährige Verpflichtung: Zedaka (Wohltätigkeit) bedeutet, dass Juden verpflichtet sind, von dem zu geben, was Gott ihnen anvertraut hat, um es zu teilen. Zedaka ist keine Tugend, sondern eine Pflicht.
Aufgrund der Zedaka ist das Sammeln von Spendengeldern zur Bildung eines Kapitalstockes für den Aufbau wohltätiger Stiftungen eine typische Ausformung ethischen Engagements im Judentum. 1872 sind für Hochberg 14 jüdische Stiftungen belegt, in denen 11.000 Gulden als Stiftungskapital angelegt waren (Gulden bis Ende 1875 Währung in Württemberg, dann durch die Mark abgelöst). Das entspricht heute ca. 400.000 €. Zum Vergleich: Die Bürgerstiftung Remseck hat ein Stiftungskapital von 537.700 €. Die jüdischen Stiftungen haben üblicherweise ihr Kapital zu 4 Prozent Zinsen verliehen und jährlich 3 Prozent als Ertrag für die Fürsorge ausgeschüttet. Das waren jährlich 330 Gulden, was ca. 13.000 € entspricht. Damit konnte man in einem damals 800-Seelen-Dorf wie Hochberg schon etwas machen.
Die Gideonschen Stiftungen waren die größten der Hochberger Stiftungen, 5200 Gulden stellten sie, d.h. 47,3 % des Stiftungskapitals. Benannt waren sie nach Abraham Gideon, dem Gründer der jüdischen Gemeinde und seinem Sohn Seligmann Gideon. Zum Ende des 19. Jh. schrumpfte die jüdische Gemeinde in Hochberg stark. 1895 kam nur noch die Thalheimer Stiftung mit 500 Mark hinzu. 1911 wurde das Haus in der Hauptstr. 25 der Strauss’schen Familienstiftung zugeführt und bis 1939 als Armenhaus genutzt. Der Londoner Teil der Hochberger jüdischen Familie Falk spendete ab 1920 bis mindestens 1933 jährlich 50 britische Pfund als „Hochberger Weihnachtsspende“.
Die große Zahl an Stiftungen ist auffällig. Das hat damit zu tun, dass es in Hochberg einen jüdischen Friedhof gab. Üblicherweise hatten die Stiftungen nämlich einen doppelten Zweck: Jahrzeitstiftung, d.h. Erinnerung an den Verstorbenen, und Armenfürsorge. Am Todestag (Jahrtag) eines Verstorbenen wurde durch den Vorsänger in der Synagoge das Totengebet (Kaddisch) gesprochen, eine Kerze angezündet und das Grab aufgesucht. Die Art der Fürsorge in den Stiftungen konnte unterschiedlich aussehen. So hatte Abraham Gideon festgelegt, dass der Ertrag seiner Stiftung für die Unterstützung armer Witwen und für das Schulgeld armer Kinder zu verwenden ist. Seligmann Gideon verfügte, dass der Ertrag als Brautlegate (Legat = Vermächtnis) ausgegeben wird, auf die Mädchen aus der Gideonschen Verwandtschaft Anspruch hatten. Da man damals in Württemberg ein Mindestvermögen von 150 Gulden zum Heiraten nachweisen musste, waren Brautlegate als Stiftungszwecke verbreitet, um jungen Menschen überhaupt den Start in die Ehe zu ermöglichen.
1914 wurde die jüdische Gemeinde Hochberg aufgelöst und die Verwaltung der Stiftungen wurde durch die jüdische Gemeinde Ludwigsburg vorgenommen. 1939 wurde das Kapital der jüdischen Stiftungen in Deutschland in die „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ überführt. Diese von der Gestapo gesteuerte Zwangsorganisation des deutschen Judentums sollte die Auswanderung der deutschen Juden finanzieren. Alle diese Stiftungen waren eigentlich „auf ewig“ angelegt, wurden von den Nazis beendet und zweckentfremdet und bis heute nicht wiedererrichtet.

Foto: Eine typische Zedaka-Box zum Sammeln von Spenden: Es ist üblich, kurz vor dem Sabbat, an Feiertagen und anderen besonderen Anlässen Geld in eine solche Box zu legen. Häufig sind sie künstlerisch sehr hochwertig gestaltet, öfters in Form von kleinen Häuschen, bei denen der Schornstein als Spendeneinwurfschlitz dient. Auf dem Dach dieser Box aus der 1. Hälfte des 20. Jh. steht auf Hebräisch „Zedaka“.

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