Scroll Top
Hauptstraße 37, 71686 Remseck
Judentum

Bockherzle

Bockherzle

Als 2018 ein Straßenname für die neue Straße im Neubaugebiet “Nördlich Brunnenstraße” im Wohngebiet „Im Rot“ in Remseck-Hochberg gesucht wurde, beschloss der Remsecker Gemeinderat einstimmig die Namensgebung nach Abraham Herz. Damit wurde erstmalig durch einen Straßennamen an die Hochberger jüdische Gemeinde erinnert. Abraham Herz war von 1845 bis 1870 Mitglied im Hochberger Gemeinderat und damit laut der 1850 veröffentlichten Beschreibung des Oberamts Waiblingen der erste Jude in einem solchen Amt im Königreich Württemberg. Er kam als Viehhändler und Lieferant für das Militär zu Wohlstand und besaß ein Haus in der Hauptstraße 18 (1870 an Familie Falk verkauft). Der 1798 in Hochberg geborene Herz verzog 1870 nach Karlsruhe, um ein Leben als Privatier zu führen. Er starb dort 1876. Sein Vater Abraham Herz senior war in den 1780er Jahren aus dem badischen Diedelsheim (heute Stadtteil von Bretten bei Karlsruhe) zu seinem Bruder Jakob Herz nach Hochberg gezogen, der schon seit den 1770er Jahren als einer der ersten Schutzjuden in Hochberg wohnte. Die Familie Herz war sehr groß, da Abraham Herz senior 18 Kinder aus drei Ehen hatte, die wiederum zahlreiche Nachkommen hatten. So hatte der Halbbruder von Abraham junior, Manasse Herz, 13 Kinder. Eines war der 1837 geborene Heinrich Herz, der ledig mit seiner Schwester Sophie Herz in der Hauptstraße 27 lebte. Heinrich war Kleinhändler und bot seine Waren in der Umgebung von Hochberg mit einem kleinen Wagen an, der von einem Geißbock gezogen wurde. Die Nutzung der Ziege als Zugtier war bis Anfang des 20. Jahrhunderts eigentlich weit verbreitet. Die erstaunlich kräftigen, genügsamen und robusten Ziegen waren eine deutlich kostengünstigere Alternative zum Pferd. In Hochbergs Umgebung muss dieser Anblick aber schon selten gewesen sein. Jedenfalls bürgerte sich wohl seit den 1870er Jahren der Spitzname „Bockherzle“ für die Hochberger ein. Heinrich Herz stand pars pro toto für alle Hochberger. Vermutlich war diese Bezeichnung ursprünglich weniger als Kose- denn als Spottname gemeint. In den 1870er Jahren ging eine antisemitische Welle durch das Kaiserreich. Der an der Armutsgrenze lebende Heinrich Herz, der auch körperlich behindert war („verkrümmt“), entsprach dem antisemitischen Klischee des „Schacherjuden“ (von hebr. Sacher = Lohn). Er starb 1914, nachdem er seit 1912 pflegebedürftig war. Eine christliche Witwe übernahm seine Pflege. Das Essen wurde ihm täglich vom Rosenwirt (seit 1869 nicht mehr jüdischer, sondern christlicher Gastwirt) gebracht. Innerdörflich funktionierte das soziale Netz zwischen Juden und Christen. Noch bis zum Ende des selbständigen Hochberg 1975 war der Spitzname „Bockherzle“ für die Hochberger in Gebrauch.

Verwandte Beiträge