Eine Judenmission in Neckargröningen
Von 1877 bis 1879 gab es in Neckargröningen ein so genanntes „Proselytenasyl“ im evangelischen Pfarrhaus. Bei einem Proselytenasyl (von griechisch proselytos = Hinzugekommener) handelt es sich im 19. Jahrhundert um eine Einrichtung der Judenmission: Juden sollten für das Christentum gewonnen, Taufunterricht unterzogen und in die evangelische Kirche aufgenommen werden. Diese Information verdanken wir wieder Christa Lieb aus Ludwigsburg, die alte Ausgaben der Ludwigsburger Zeitung aufarbeitet: Am 13. April 1879 berichtet die Zeitung, dass die „Württembergische Mission in Israel“ ihr seit zwei Jahren in Neckargröningen bestehendes Asyl nach Cannstatt verlegt habe. Als Begründung wird angegeben: „Es kommen so viele Israeliten, welche infolge ihres Übertritts zum Christentum von ihren Religionsgenossen ins Elend hinaus gestoßen werden, und nun in ihrer Verlassenheit bei uns Christen Hilfe suchen, dass der Missionschef genötigt war, sich nach einer eigenen Wohnung in Cannstatt umzusehen.“ Ein paar Tage später veröffentlicht die Ludwigsburger Zeitung eine Gegenrede eines jüdischen Lesers: „Glaubt (der Verfasser) vielleicht, wir Israeliten seien verpflichtet, einen zum Christentum übergetretenen Juden bei seinem Austritt aus der Synagoge noch die volle Opferbüchse mitzugeben, damit er ja nicht ins Elend gerate?“ und „wie stellt sich denn der Herr Einsender das Hinausstoßen der Proselyten ins Elend vor? Der Proselyt hat entweder Vermögen, … wie sollten da seine ehemaligen Religionsgenossen im Stande sein, ihm ins Elend hinauszustoßen? Oder, er hat bisher von der Wohltätigkeit der Israeliten gelebt und diese ziehen bei seinem Übertritt ihre Hand von ihm ab, weil sie glauben, ihn getrost der christlichen Liebe überlassen zu können, darf man dies ein Hinausstoßen ins Elend heißen?“ Der Leserbrief endet spitz: „Wir sehen dem Wirken der „Mission in Israel“ beruhigt zu, das Judentum hat im Verlauf von Jahrtausenden schon ganz anderen Dingen widerstanden; aber prämieren können wir den Austritt aus demselben doch auch nicht, indem wir etwa den Proselyten eine Rente aussetzen.“