März 1829: Einweihung der Synagoge in Hochberg
Bisher ging man davon aus, dass die Synagoge in Hochberg im Sommer 1828 eingeweiht wurde. Nun konnte im „Schwäbischen Merkur“ vom 26. März 1829, der damals führenden Tageszeitung in Württemberg, ein Bericht über die Einweihung der Synagoge gefunden werden. Das Datum der Einweihung ist nun exakt bekannt und verschiebt sich auf Freitag, den 20. März 1829. Am 26. April 1828 war die Grundsteinlegung, einen Tag nach der Verkündigung des württembergischen Israelitengesetzes in Stuttgart, das den Juden erstmals bürgerliche Rechte gab. Elf Monate später wurde das Gebäude fertiggestellt. Ausgeschrieben wurden die Bauarbeiten am 29. Dezember 1827 ebenfalls im Schwäbischen Merkur in 10 Gewerken für 5351 Gulden, was nach heutigen Geldwerten ungefähr einer Viertelmillionen Euro entspricht. Von der Ausschreibung bis zur Fertigstellung vergingen nur 15 Monate – für heutige Verhältnisse sehr flott. Der Artikel im Schwäbischen Merkur lautet:
Feierlichkeiten bei Einweihung der neu erbauten Synagoge
Eine äußerst willkommene Erscheinung in unsern Tagen ist die Errichtung so vieler israelitischer Elementarschulen und die Erbauung und Verschönerung von Gotteshäusern. Auch Hochbergs Einwohner sahen dieses Bedürfnis ein, und wetteiferten einstimmig, durch diese Einrichtungen die Basis für das Glück der kommenden Generationen zu legen. Am 26. April 1828 ward der Grundstein zur neu erbauten Synagoge im Beisein des Herrn Kreisbauraths Abel aus Ludwigsburg und des Herrn Oberamtsmanns Wirth gelegt, bei welcher Gelegenheit der hiesige Elementarlehrer David Weil eine dieser feierlichen Handlung angemessene Rede hielt, welche bereits im Druck erschienen ist. Durch die Allgüte des Höchsten, durch gütige Unterstützung und Mildtätigkeit der benachbarten Oberämter, so wie durch die Anstrengung der hiesigen israelitischen Gemeindeglieder gelang es, den Bau zu vollenden, und die Einweihung dieses Gotteshauses wurde auf Freitag den 20. des Monats festgesetzt. Bei dieser Gelegenheit wollte zugleich Ascher Weis eine neu geschriebene Gesetzesrolle, welche er mit vielem Kostenaufwand verfertigen ließ, in die heilige Bundeslade stellen. Um die Einweihungsfeier gebührend begehen zu können, wurde der Herr Rabbiner Salomon Wassermann aus Laupheim beschrieben, um das Gehörige anzuordnen, und eine angemessene Rede zu halten. Am 20. März, morgens 7 Uhr, ritten 15 Jünglinge nebst fünf Trompetern dem Herrn Oberamtmann bis nach Hegnach entgegen, und nachdem man denselben mit einem freudigen Lebe hoch empfangen hatte, hielt einer der Jünglinge eine passende Anrede; Herr Oberamtmann wurde hierauf hieher begleitet. Am Eingang des Dorfes empfing denselben Herr Vorsteher H. Grabenheim nebst den Deputationsmitgliedern.“
Der Rückblick auf die Grundsteinlegung im Artikel liefert uns wichtige Informationen: Beim „Kreisbaurath Abel“ handelt es sich um den Ludwigsburger Architekten Ludwig Gottlieb Abel (1782-1852), den Vater des späteren Ludwigsburger Oberbürgermeisters Heinrich von Abel (OB 1864-1897). Erhalten ist von Architekt Abel noch das Haus Asperger Straße 22 in Ludwigsburg, das er 1825 im klassizistischen Stil errichtete und damit im barocken Ludwigsburg einen neuen Baustil einführte. Auch die Hochberger Synagoge ist in klassizistischem Stil errichtet und trägt somit seine Handschrift. Wir können Ludwig Gottlieb Abel damit als Architekten der Synagoge identifizieren. Beim „Oberamtmann Wirth“ handelt es sich um Franz Theodor Wirth, der 1825 bis 1844 dem Oberamt Waiblingen vorstand. Hochberg gehörte bis 1938 zu diesem Oberamt und kam dann durch die Kreisreform zum neu geschaffenen Landkreis Ludwigsburg. Der Oberamtmann entspricht dem heutigen Landrat. Dass der jüdische Dorfschullehrer David Weil anlässlich der Grundsteinlegung eine Rede hielt, die in Druck erschien, ist bisher nicht bekannt. Die in Druck bei den C.F. Nast’schen Schriften erschienene Rede des Rabbiners Salomon Wassermann bei der Einweihung 1829 wurde 2019 wiederentdeckt und als Reprint veröffentlicht. Ascher Weis (1775-1837) war der Erbauer des Gebäudes Hauptstraße 24, das später das alte Hochberger Rathaus wurde. Hier erfahren wir, dass er die Anfertigung der Torarolle für die Synagoge finanzierte. Eine Torarolle muss von einem Sofer (Toraschreiber) fehlerfrei handgeschrieben werden, was die Erstellung sehr langwierig und kostspielig macht. Die Errichtung „vieler israelitischer Elementarschulen“ im Artikel spielt auf die Schulpflicht für jüdische Kinder durch das Israelitengesetz von 1828 an. Die meisten jüdischen Gemeinden in Württemberg richteten erst jetzt eigene Schulen ein. Hochberg war da eine Ausnahme. Hier bestand die jüdische Schule schon mindestens seit 1818. Im Artikel des schwäbischen Merkur geht es nun weiter:
„Nachmittags 1 Uhr wurde in der alten Synagoge das gewöhnliche Abendgebet abgehalten, und ein Abschiedswort vom besagten Herrn Rabbiner gesprochen. Um 2 Uhr begann der Zug von der alten Synagoge bis zu dem Hause des A. Weis, um die neue Gesetzesrolle zu empfangen, auf folgende Weise: 1) die israelitische Schuljugend nebst dem Elementarlehrer, welche passende Lieder mehrstimmig sangen; 2) Herr Vorsänger E. Davidsohn nebst 3 anderen Sängern begleitet von der Musik; 3) Herr Rabbiner; 4) neun Gesetzesrollen, welche unter 2 Thronhimmeln von hiesigen Gemeindemitgliedern getragen wurden; 5) Herr Oberamtmann, Herr Kreisbaurat, mehrere Personen vom Militär- und Zivilstande, Vorsteher und Deputation der israelitischen Gemeinde, und 6) die unverheiratheten israelitischen Jünglinge, welche den Zug schlossen. Während des Zugs wurde ein, von Herrn Rabbiner verfertigtes, hebräisches Gedicht mit deutscher Übersetzung gesungen. In der Synagoge angekommen, wurde mit den heiligen Gesetzesrollen ein Umzug gehalten, vom Herrn Vorsänger mehrere Psalmen abgesungen, und hierauf eine feierliche Rede gehalten, welche auf das Gemüt der Zuhörer einen tiefen Eindruck machte, und viele bis zu den Tränen rührte. Diese besagte Rede nebst Gedicht werden nächstens im Druck erscheinen. Hierauf folgte das gewöhnliche Sabbathgebet, welches mit Musik begleitet ward. Zur Belustigung der Jugend wurde ein Maskenball veranstaltet, welcher sehr hübsch ausfiel. Der von den Geheirateten gehaltene Ball ward hauptsächlich dadurch verschönert, dass ein 84jähriger Greis (Isaak Kusiel) mit seiner in 52jähriger Ehe lebenden Gattin Sibilla den Ball eröffnete. Das Fest, begünstigt von schöner Witterung, ward durch die Menge der befriedigten Zuschauer verherrlicht. So endigte eine Feier, die dem Herrn geweiht ist, und im ewigen Andenken der Zuschauer bleiben wird.“
Von 1787 bis 1829 hatte die jüdische Gemeinde im Wohngebäude Hauptstraße 30 ihren Betsaal. Diese Haussynagoge ist noch heute an den höheren Fenstern im 2. Stock des Gebäudes von außen zu erkennen. Hier startete der Festzug mit Abschiedsworten. Später wurde der Betsaal zu einer Wohnung umgebaut.
Das neunstrophige Gedicht erschien im Druck und zeugt von der optimistischen Stimmung nach dem württembergischen Israelitengesetz von 1828. So lautet die 5. Strophe: „Kommet zur Weihe, kommet, vereint euch frohlockend, ihr Brüder! / Vorüber ist die Dämmerung, vorüber Kumm’r und Verdruß.“ Und die 8. Strophe lautet: „Durch ihn, den weisen Monarchen, der huldvoll seinen Herrscherblick / ueber Württemberg, sein edles und biederes Reich erstreckt, / blüht für Israel eine fröhliche Zukunft, ein wahres Glück, / und ein neuer, besserer, edler Geist wird in uns erweckt.“ In seiner Ansprache formulierte Rabbiner Wassermann: „Der heutige Tag erinnert uns, dass man jahrhundertelang alles aufbot, um unser Verderben zu befördern … wie glücklich sind wir jetzt, welchen unendlichen Dank sind wir unser gnädigen Landes-Regierung schuldig.“ Man erwartete 1829 in Hochberg, dass die Jahrhunderte des Antisemitismus der Vergangenheit angehören und jetzt die Zeit des guten Zusammenlebens anbricht. Dementsprechend ausgelassen mündete der Tag der Synagogenweihe in einen Maskenball, den der ehemalige Vorsteher der jüdischen Gemeinde Isaak Kusiel (1743-1837, Vorsteher 1805-1825) mit seiner Frau Sibilla (1754-1839) eröffnete. Ausgelassen und positiv war 1829 die Stimmung. Sie trug in Hochberg bis zum Ende der jüdischen Gemeinde 1910. Bezüglich der langfristigen Entwicklung in Deutschland täuschte sich die Festgemeinschaft.