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Judentum

Präsentation der Genisa-Funde in der ehemaligen Synagoge

Präsentation der Genisa-Funde in der ehemaligen Synagoge

Am Sonntag, den 8. September wurden erstmals die Genisafunde von 1993 in der ehemaligen Synagoge präsentiert. Mit 60 Besuchern war der „Tag des offenen Denkmals“ sehr gut besucht. In einer Genisa werden ausrangierte Schriften und Gegenstände abgelegt bzw. begraben, die den Gottesnamen auf Hebräisch tragen. Sie dürfen aus religiösen Gründen nicht achtlos weggeworfen werden. Die Hochberger Genisa wurde im 19. Jh. ca. 50 Jahre benutzt und enthält Gebetbücher, Teile eines Drucks der ersten jüdischen deutschen Übersetzung der Thora von Moses Mendelssohn von 1783, die berühmte Abhandlung von Maimonides (bedeutender jüdischer Philosoph des Mittelalters) über die 613 Ge- und Verbote der Thora, drei Pessach-Haggadot, Taschenkalender, zwei Talmud-Traktate und einen Buchdeckel von Salomon Kusiel.
Die Gebetbücher zerfallen in zwei Machsorim (Singular Machsor) und mehrere Siddurim (Singular Siddur). Ein Machsor ist zu Feiertagen vom Kantor (Vorsänger) beim Synagogengottesdienst vorzulesen und ist ein besonders großformatiges Buch, das der Gemeinde als Gruppe gehört. Ein Siddur ist ein jüdisches Gebetbuch für den Alltag, das in der Familie gebraucht wird. Eine Pessach-Haggada ist eine Erzählung über den Auszug aus Ägypten, die beim Seder-Abend, dem Vorabend des Pessachfestes, in der Familie vorgetragen wird. Die zwei Talmud-Traktate behandeln die Themen Ehebruch (der Ehefrau) und Scheidung. Es wurde vielfältig spekuliert, warum sie mit handschriftlichen Bemerkungen in der Genisa gelandet sind. Spekulieren kann man auch, warum sich das Buch des Maimonides, das eine rationalistische Interpretation der 613 Ge- und Verbote der Thora vertritt und seit dem Mittelalter sehr umstritten ist, sich in der Genisa findet. Interessant ist auch, dass die deutschen Übersetzungen hebräischer Texte im 18./19. Jh. mit hebräischen statt mit lateinischen Lettern gedruckt wurden.
Die 20 Fundstücke aus der Hochberger Genisa, die 50 Jahre im 19. Jh. genutzt wurde, sind natürlich fast nichts gegen die 300.000 Fundstücke aus der Kairoer Genisa, die 1.500 Jahre in Benutzung war und seit ihrer Entdeckung 1897 die Wissenschaft beschäftigt. Sie geben aber einen Einblick in das religiöse Leben des württembergischen Landjudentums und zeigen, dass alle Theorien, die von einer mangelnden Bildung und schwachen Verwurzelung in der jüdischen Tradition ausgehen, falsch sind.

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