Was blieb von 1848/49 in Hochberg? (1848er-Revolution Teil 5)
Gemeinhin gilt die 1848er-Revolution als gescheitert. Die aus Frankfurt am Main geflohene Nationalversammlung wurde im Juni 1849 in Stuttgart durch württembergisches Militär aufgelöst. Die badische Revolution wurde bis Ende Juli 1849 brutal durch preußische Truppen niedergeschlagen. Die Ziele der politischen Freiheit und nationalen Einheit wurden mit Waffengewalt erstickt und überall zogen die Obrigkeiten die Zügel an. Den Revolutionären wurde der Prozess gemacht. In Württemberg wurde gegen 4500 Personen ermittelt, 100 saßen auf dem Hohenasperg ein.
Auch in Hochberg stimmten sich die jüdischen Gemeindevorsteher ab, um „die Ordnung wiederherzustellen“. Im israelitischen Kirchenkonventsbuch lesen wir: „Infolge der traurigen Wahrnehmung, dass in neuerer Zeit, die so manche Bande gelockert, auch die Bande der Ordnung in der Synagoge locker wurden, und dass das mitunter einige Zeit notgedrungen gewesene passive Verhalten der Vorsteher viele Gemeindeangehörigen nur frecher macht, so dass aller gesetzlichen Ordnung von ihnen Hohn gesprochen wird, so haben die Kirchenvorsteher untereinander gesprochen und beschlossen, von nun an wieder mit aller Strenge die Synagogenordnung zu handhaben.“ Und nun hagelte es Strafen: Die Strafliste eines Gottesdienstes führt bis zu 25 Namen auf. Es kehrte dann schnell die erwünschte Ruhe ein.
Die Revolution wurde zwar auf nationaler Ebene erstickt, aber vor Ort und auf Landesebene war sie nicht erfolglos. Die Hochberger wählen im August 1849 mit Jacob Vollmer einen neuen Schultheißen und hatten damit ihr Hauptziel erreicht. Die Holzabgabeablösung wurde schnell zur Zufriedenheit aller geregelt. In Württemberg trat im Juli 1849 eine neue Gemeindeordnung in Kraft, die das bisher lebenslange Mandat der Gemeinderäte abschaffte und die Öffentlichkeit der Gemeinderatssitzungen einführte. Per Gesetz wurden im Juni 1849 in Württemberg auch die Feudallasten abgeschafft. Die Hochberger mussten fortan keinen Frongulden mehr bezahlen. Abraham Herz legte das Amt des Gemeindepflegers nieder, kandidierte aber regulär im August 1849 für den Gemeinderat und wurde gewählt. Bis 1870 wurde er immer wieder im Amt bestätigt. Es richtete sich somit kein dauerhafter Zorn gegen ihn. Mindestens bei der Wahl 1854 war er sogar Stimmenkönig. Am 14.01.1849 hatte Württemberg die Grundrechte der Paulskirche übernommen und damit auch für die Juden die nach 1828 (württembergisches Israelitengesetz) noch bestehenden Beschränkungen der staatsbürgerlichen Rechte aufgehoben. Am 05.10.1851 wurde der Grundrechtskatalog im Zuge der Restauration zwar wieder zurückgenommen, aber beschlossen, die Gleichstellung der Juden „bis auf weitere gesetzliche Normierung auch fortan zur Anwendung zu bringen“. Es dauerte mit der gesetzlichen Fassung der Gleichstellung noch bis zum 31.12.1861 in Württemberg, aber faktisch war die Gleichstellung von Juden und Christen seit Januar 1849 dauerhaft gegeben. Nur die Mischehe blieb noch bis 1871 untersagt.
Die bürgermeisterlose Zeit in Hochberg von April bis August 1849 scheint etwas chaotisch gewesen zu sein, denn am 15.12.1849 fahndet der neue Schultheiß Vollmer im Waiblinger Intelligenz-Blatt durch Aufruf nach dem Brandversicherungskataster von Hochberg, das „während der Erledigung des Schultheißenamtes abhanden gekommen“ sei. Ansonsten konnten die Hochberger aber durchaus vor Ort zufrieden sein: Die kommunalen Konfliktfelder wurden abgeräumt, der unbeliebte Schultheiß ausgetauscht, die Gemeinderäte wurden demokratisiert und zwischen Christen und Juden im Ort trat wieder Frieden ein. Dass Anfang der 1850er Jahre die neu erbaute evangelische Schlosskirche in Hochberg über dem Portal einen Davidstern im Maßwerk erhielt und in ihrer Achse auf die Synagoge ausgerichtet wurde, damit Kirche und Synagoge aufeinander bezogen erschienen, war das äußere Zeichen, dass die schwierigen Jahre in Hochberg vorbei waren und das Zusammenleben zwischen Christen und Juden funktionierte. 1850 lebten 500 Christen und 300 Juden im Ort. Die revolutionäre Errungenschaft der Gleichberechtigung der Juden bedeutete aber auch erstmals deren volle Freizügigkeit. Die Industrialisierung ließ für Handel und Gewerbe treibende Juden Hochberg aber plötzlich unattraktiv erscheinen. Orte mit Bahnhöfen waren jetzt die bevorzugten Wohnsitze. Und so bedeutete diese Errungenschaft von 1848 auch, dass die jüdische Gemeinde in Hochberg ab 1850 stetig schrumpfte, bis sie sich 1914 auflöste. Von einem pauschalen Scheitern der Revolution mit anschließendem Rückschritt auf allen Ebenen kann vor Ort nicht gesprochen werden.
Foto: Portal der evangelischen Schlosskirche in Hochberg mit Davidstern