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JUDENTUM

Josef Staropolski

Bild: Archiv des Alb-Donau-Kreises
Josef Staropolski

Jedes Jahr am 9. November gedenkt Beth Shalom in der ehemaligen Hochberger Synagoge der NS-Verfolgten aus Hochberg. Jüdinnen und Juden, die in Hochberg geboren wurden oder zeitweise in Hochberg gelebt haben:

Josef Staropolski
Am 29.02.1892 hatte die jüdische Gemeinde Hochberg in der Zeitung „Der Israelit“ die vakante Stelle des Kantors (Vorsängers), Schächters und Religionslehrers in Hochberg ausgeschrieben. Man entschied sich für Josef Leon Staropolski aus Berlin, dem man 30 Mark Umzugs- und Reisespesen von Berlin nach Hochberg zahlte. Die Stelle war mit 700-800 Mark Jahresgehalt „nebst freier Wohnung und Holz“ dotiert. Gertrud Bolay war sich bei ihren Forschungen zu den Hochberger Juden unsicher, ob Leon Stara(!)polski mit Josef Staro(!)polski, dem späteren Esslinger Kantor identisch ist. Das kann nun durch Unterlagen im Esslinger Stadtarchiv bejaht werden. Wie lange Josef Staropolski in Hochberg wirkte, ist noch nicht ganz klar. 1897 wurde jedenfalls Isidor Zwinger als Vorsänger und Lehrer in Hochberg eingesetzt. Wahrscheinlich hat Staropolski das Amt in Hochberg somit zwischen 1892 und 1897 ausgeübt. Er wohnte damals vermutlich in einer Wohnung im ehemaligen Jüdischen Schulhaus (heute Alexandrinenplatz 3). Die Jüdische Schule war in Hochberg bereits 1872 mangels Kindern geschlossen worden. Die wenigen jüdischen Kinder besuchten seitdem die evangelische Volksschule am Schloss. Am Sabbat hatten sie zwei Stunden jüdischen Religionsunterricht und besuchten dann noch den Schulunterricht in der allgemeinen Schule. Sie waren aber vom Schreiben an diesem Tag befreit. Die Klassenräume im ehemaligen Jüdischen Schulhaus waren nach 1872 zu Mietwohnungen umgebaut worden. Daher wurde der jüdische Religionsunterricht in der Privatwohnung des Lehrers erteilt. Man kann in dieser Spätzeit der jüdischen Gemeinde in Hochberg mit 1-4 Schülern rechnen, die Staropolski zu unterrichten hatte. Staropolski legte die amtliche Schächterprüfung vor dem Bezirksrabbiner erst im Dezember 1902 vor Antritt seiner Stelle in Esslingen ab. Mit welcher diesbezüglichen Qualifikation er sich 1892 auf die Hochberger Stelle bewarb ist nicht bekannt. Möglicherweise hat er hinsichtlich des rituellen Schlachtens in Hochberg noch bei Adolf Falk gelernt, der seine jüdische Metzgerei seit den 1880er Jahren betrieb.

Josef Staropolski wurde am 19.11.1855 in Kalvarija (heute Litauen, damals Kongresspolen d.h. russisch) geboren. Er soll erstmals 1880 nach Deutschland gekommen sein und an verschiedenen Orten im Rheinland und in Bayern, aber auch in Holland und Galizien gelebt haben. Staropolski gehört damit zur Gruppe der meist staatenlosen osteuropäischen Juden, die in den 1880er Jahren aufgrund der Pogrome und des antisemitischen Klimas in Russland nach Westen auswichen. Er war der zweite osteuropäische Jude als Kantor und Lehrer in Hochberg. 1883 hatte die Hochberger Gemeinde erstmals einen russischen Juden eingestellt. Die osteuropäischen Juden galten als streng orthodox. Ob dies auch die Einstellung der letzten Hochberger Juden widerspiegelt oder ob einfach die Bewerberauswahl auf die schlecht bezahlte Hochberger Stelle der kleinen Gemeinde begrenzt war, lässt sich nicht abschließend sagen. Auch die Esslinger Stelle war anfangs wenig besser dotiert und Staropolski erreichte erst im Laufe der Jahre eine bessere Bezahlung. Bis 1933 wirkte er dann 30 Jahre als Kantor, Schächter und Lehrer in der jüdischen Gemeinde Esslingen. Mit 78 Jahren ging der alleinstehende hochgelehrte Mann in den Ruhestand. Am 07.07.1939 wurde er ins jüdische Zwangsaltersheim in Herrlingen (heute Stadtteil von Blaustein, Alb-Donau-Kreis) eingewiesen, im Sommer 1942 ins jüdische Zwangsaltersheim in Oberstotzingen (Kreis Heidenheim) verlegt. Am 19. August 1942 wurde Staropolski über das Sammellager Stuttgart-Killesberg ins KZ Theresienstadt gebracht. Der schwerhörige und fast blinde Greis musste mit seinem letzten Geld noch für einen „Heimplatz mit Versorgung und Betreuung“ bezahlen, wie vorgegaukelt wurde. Nach der Ankunft überließ man den 86jährigen hilflosen Alten im überfüllten Lager sich selbst. Am 18. September 1942 kam Josef Staropolski im KZ Theresienstadt ums Leben. Als Todesursache wird „Enteritis – Darmkatarrh“ angegeben.
In Esslingen erinnert ein Stolperstein vor der Rilkestraße 15 an Staropolski. Als 2016 die wiedergegründete Synagoge Esslingen eine Thora-Rolle erhielt, erinnerte der damalige Landesrabbiner Netanel Wurmser daran, dass Josef Staropolski den letzten jüdischen Gottesdienst vor der Shoa in Esslingen geleitet habe: „Seine Seele hört mit uns mit und freut sich, dass die Buchstaben zurückkehren.“

Möge seine Erinnerung ein Segen sein!

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