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Judentum

Auswanderung aus Hochberg im 19. Jahrhundert

Auswanderung aus Hochberg im 19. Jahrhundert

110 Personen lassen sich im Moment ermitteln, die im 19. Jahrhundert aus Hochberg ausgewandert sind. Bis zur Reichsgründung 1871 war auch ein Umzug nach Baden oder Bayern (meist wegen Verheiratung dorthin) rechtlich eine Auswanderung. Zieht man 9 solche Fälle (Baden 6, Hechingen 1, Bayern 1, Preußen 1) ab, bleiben 101 Personen übrig, die das Gebiet des damaligen Deutschen Bundes wirklich verließen. Die Auswanderungswelle setzt 1849 ein und endet 1869. Sie spiegelt damit die politische und wirtschaftliche Entwicklung: Ab 1849 hatten Juden in Württemberg die Freizügigkeit erhalten und konnten somit ihren Wohnsitz erstmals frei wählen. So sind die drei ersten Auswanderer 1849/50 auch jüdischen Glaubens: Immanuel Weis, Eva Herz und Josef Weis. Politische Unzufriedenheit nach der 1848er Revolution und die schlechten Ernten in der ersten Hälfte der 1850er Jahren ließen die Auswandererzahlen hochschnellen: 1852 verließen 20 Hochberger ihr Dorf, 1854 sogar 31. Mit der zunehmenden Industrialisierung in Südwestdeutschland verbunden mit Arbeitskräftebedarf vor Ort sanken dann die Zahlen ab 1855 auf 1 bis 2 pro Jahr, um nach Ende des Amerikanischen Bürgerkrieges 1867 noch einmal auf 4, 1868 2 und 1869 3 zu steigen. Vor 1849 ist in Hochberg nur ein Auswanderungsfall belegt: Der evangelische Weber Johann David Staib wanderte 1805 mit Frau und fünf Kindern nach Polen aus.
Von den 94 Hochberger Auswanderern ab 1849 gingen 89 in die USA, 2 nach Frankreich und je einer nach Australien, in die Schweiz und nach England. Während die Auswanderung im benachbarten Neckarrems gestreuter stattfand, allein 20 Neckarremser wanderten in den 1850er Jahren nach Australien aus, konzentriert sich in Hochberg alles auf die USA. 57 Auswanderer waren jüdischen Glaubens, 37 evangelisch. Dass jüdische Auswanderer die USA favorisierten, erklärt sich durch die weitergehende Religionsfreiheit, die dieses Land gewährte. 1850 lebten in Hochberg 500 Christen und 300 Juden. Die Auswanderungsquote war im jüdischen Teil der Einwohner somit fast dreimal so hoch wie im christlichen. Im Regelfall waren die Auswanderer um die 20 Jahre alt, aber auch 13- und 14jährige Kinder machen sich allein auf die Reise nach New York. Der älteste Auswanderer ist 1852 der evangelische Albrecht Gottlieb, der mit Frau und vier Kindern in die USA emigrierte. In den meisten Fällen handelt es sich um Einzelpersonen, aber auch ein paar Familien sind überliefert: So 1852 der evangelische Christian Sauerzapf mit Frau und fünf Kindern und 1854 der Jude Marx Kahn mit Frau und ebenfalls fünf Kindern. Die Auswandererzahlen 1852 und 1854 liegen auch deshalb so hoch, weil sich in diesen Jahren vermehrt ganze Familien auf den Weg machten. Dass unter den Auswanderern bestimmte jüdische Familiennamen vermehrt vorkommen, weist darauf hin, dass es in den Familiennetzwerken Kommunikation über den Atlantik gab und Familienmitglieder nachgeholt wurden bzw. in den USA Verwandte kontaktieren konnten. 6 Auswandererfälle Röscher, 5 Herz, 4 Fellheimer, 4 Imanuel, 3 Kusiel, 3 Weis und 3 Kaufmann weisen darauf hin.
Die Zahl der Juden ging in Hochberg von 1850 bis 1910 von ca. 300 auf unter 10 zurück. Die Auswanderer machen zwar nur ein Fünftel dieses Rückgangs aus, da aber vor allem die Jüngeren emigrierten und die Älteren zurückblieben, kam es schnell zu einer Überalterung und Kinderlosigkeit der Gemeinde. Schon 1872 wurde die jüdische Schule wegen Kindermangel geschlossen. Die Abwanderung in die boomenden Industriestädte des Deutschen Reiches tat ihr Übriges, um die Auflösung der jüdischen Gemeinde in Hochberg zu beschleunigen.

Intelligenz-Blatt: Kreis-Archiv Rems-Murr

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