Berta Jordan
Jedes Jahr am 9. November gedenkt Beth Shalom in der ehemaligen Hochberger Synagoge der NS-Verfolgten aus Hochberg. Jüdinnen und Juden, die in Hochberg geboren wurden oder zeitweise in Hochberg gelebt haben.
Berta Jordan
Am 23.10.1865 wurde Berta Thalheimer im Haus Alexandrinenplatz 4 in Hochberg geboren. Ihr Großvater Manasse Löw Thalheimer war 1817 aus Talheim bei Heilbronn nach Hochberg zugezogen und hatte in diesem Haus 1837 eine Gaststätte mit Tanzboden und Kegelbahn eröffnet. Bis vor wenigen Jahrzehnten gab es sie noch als Gasthaus Krone. Später war in diesem Haus die Bäckerei Lutz und nun ist dort die Änderungsschneiderei Agenta untergebracht.
Manasse Löw Thalheimers 1838 geborener Sohn Samuel hatte das Weberhandwerk gelernt, machte sich als Baumwollfabrikant und Tabakhändler selbstständig und eröffnete 1867 eine Firma in München. Mit zwei Jahren zog Berta daher mit Familie in die bayerische Landeshauptstadt. Bertas Mutter Julie Thalheimer geb. Klopfer stammte aus Hürben (Krumbach) zwischen Ulm und München, wo es eine jüdische Gemeinde gab. Familiäre Netze stehen wohl hinter dem Umzug. Bereits 1869 starb Samuel Thalheimer in München. Tochter Berta war als Vierjährige Halbwaise. Die verwitwete Mutter heiratete 1873 den Kaufmann Bernhard Schwarzschild, der Bertas Stiefvater wurde. Berta heiratete mit 21 Jahren in München den Viehhändler Leopold Jordan. Leopold starb 1933.
Berta verzog laut Meldekarte am 5. Juni 1942 mit unbekanntem Reiseziel. Damals war sie 76 Jahre alt. Das „Verziehen mit unbekanntem Reiseziel“ 1942 war eine Chiffre. Ab Sommer 1942 wurden alle noch in Deutschland (im „Altreich“) lebenden Juden über 65 Jahre in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Es wurde vergegaukelt, dass Theresienstadt ein „Altersghetto“ sei. Die Unterbringung in diesem als Kurort angepriesenen Heim mit Verpflegung und Krankenversorgung musste vorab mit einem „Heimeinkaufvertrag“ bezahlt werden. Dabei wurde das zu erreichende Lebensalter mit 85 Jahren angesetzt: 1800 Reichsmark (RM) pro Jahr wurden als Verpflegungssatz festgesetzt. Berta Jordan musste somit 16.200 RM abführen, um ermordet zu werden. Diese Konstruktion diente dazu, den Massenmord an den Juden zu verschleiern und sie gleichzeitig auszuplündern. Theresienstadt wurde als Endstation und Altersghetto angepriesen, war in Wirklichkeit aber eine KZ-ähnliche Einrichtung und für die meisten Bewohner nur Durchgangsstation in die Vernichtungslager im Osten. Im September 1942 kamen beispielsweise 18.639 Personen in Theresienstadt an, 13.004 wurden in die Vernichtungslager deportiert, 3.941 starben in Theresienstadt. Berta Jordan kam am 6. Juni 1942 mit dem dritten Transport von 50 Münchner Jüdinnen und Juden nach Theresienstadt (Transport-Nr. 137). Niemand dieses Transportes überlebte. Berta Jordans Spuren verlieren sich in Theresienstadt. Wahrscheinlich starb sie dort. Unterlagen über einen Weitertransport sind bisher nicht bekannt.
Berta und Leopold Jordan hatten acht Kinder. Tochter Rosa wurde 1943 in Auschwitz umgebracht, Sohn Siegfried 1941 im litauischen Kaunas ermordet. Fünf Kinder konnten in die USA emigrieren und der Verfolgung entgehen. Nachkommen leben in den USA. Tochter Clara überlebte die NS-Zeit und starb 1977 in München.
2008 wurde an einer der letzten Wohnadressen Berta Jordans in München „Am Harras 12“ an ihre Deportation mit einem Kunstprojekt „20 Koffer weiß“ erinnert – eine vorübergehende Installation, die an die Gestaltung des Synagogenplatzes in Ludwigsburg erinnert.
Im Biographischen Gedenkbuch der Münchner Juden 1933-1945, erschienen 2003 und 2007, ist Berta Jordan aufgeführt (hieraus stammt auch das Foto der Meldekartei 1938/39). Als Geburtsort ist dort fälschlich Hochberg, heute Ortsteil von Saulgau im Kreis Sigmaringen angegeben. Wir haben die Betreuer des Gedenkbuches auf diesen Fehler hingewiesen. In der online-Ausgabe des Gedenkbuches wurde der Fehler im Oktober 2022 korrigiert (hier).
Möge ihre Erinnerung ein Segen sein!