Juni/Juli 1848 in Hochberg: „ernstliche Ruhestörungen namentlich gegen die Juden“ (1848er Revolution Teil 2)
Die „antijüdischen Krawalle“ 1848 in Hochberg haben es in das Standardwerk zum Antisemitismus in der ersten Hälfte des 19. Jh. geschafft: Stefan Rohrbachers Buch „Gewalt im Biedermeier. Antijüdische Ausschreitungen im Vormärz und Revolution (1815-1848/49)“ aus dem Jahr 1993. Über die Vorgeschichte der Revolution haben im Februar 2023 hier berichtet.
Die neuere historische Forschung hat gezeigt, dass das Hochberger Geschehen wohl keine Ausnahme, sondern leider eher typisch für das Revolutionsjahr war. Vielerorts waren im ländlichen Raum die ersten freien Artikulationsmöglichkeiten der Bevölkerung nach dem März 1848 antisemitische Erhebungen. Die christliche Mehrheitsbevölkerung wollte nicht akzeptieren, dass sich der traditionell benachteiligte Status der Juden im Dorf änderte und es auf eine rechtliche Gleichstellung von Christen und Juden hinauslief.
Der Hochberger Volksschullehrer und Heimatforscher Wilhelm Streng hat in den 50er Jahren des 20. Jh. die Hochberger Ereignisse 1848/49 aus den erhaltenen Gemeinderatsprotokollen Hochbergs rekonstruiert. Inzwischen hat das Kreisarchiv Rems-Murr sämtliche Ausgaben des Waiblinger „IntelligenzBlattes“, des damals wöchentlich erscheinenden Amtsblattes für das Oberamt Waiblingen, zu dem auch Hochberg gehörte, komplett digitalisiert und online zugänglich gemacht.
Bei der Lektüre dieser Zeitung fällt auf, dass über die damaligen revolutionären Ereignisse in Waiblingen sehr ausführlich und auch kontrovers berichtet, über das Hochberger Geschehen aber kein einziges Wort verloren wird. Es sei denn, man liest ein Gedicht zur Judenemanzipation, das am 4. Juli 1848 in der Zeitung erschien als direkte Anspielung auf die Hochberger Ereignisse. Dafür sprechen zwei Argumente: Die Hochberger jüdische Gemeinde war die einzige im ganzen Oberamtsbezirk Waiblingen. Nur in Hochberg lebten Juden im Einzugsbereich der Zeitung und konnten konkret Angesprochene sein. Und: Ein zeitliches Zusammentreffen ist offensichtlich, denn im Hochberger Gemeinderatsprotokoll vom 1. Juli 1848 lesen wir erstmals, dass sich in Hochberg „ernstliche Ruhestörungen namentlich gegen die Juden entwickeln“. Drei Tage später dann das anonyme Gedicht in der Zeitung:
„Ermahnung an alle deutschen Christen, zur Emancipation der Israeliten. /
Wann wollet Ihr emancipiren,/ Ihr Christen, einmal doch den Jud‘?/ Wie lange wollt Ihr applaudiren,/ Dem Christen, der selbst Unrecht thut? -/ Glaubt Ihr, der Judennam‘ macht schlecht?/ Dann seht ihr wahrlich noch nicht recht./ Was lehrt die biblische Geschichte?/ Wer war denn unser großer Herr?/ Der Reinst‘ von sündlichem Gelüste,/ Stammt er dann nicht von Juden her?/ O Christen! Christen, wachet auf! -/ Nehmt Israel als Brüder auf./ Es ist nun bald zweitausend Jahre,/ Daß ihr sie so gesondert ab;/ Man hat schon oft genug erfahren,/ Wie man mit Unrecht brach den Stab; -/ Ein Christ, oft schlimmer als ein Jud, -/ Saugt aus dem Nächsten all‘ sein Blut. -/ Seht unser großen Christenherren,/ Wie haben die das Volk beglückt;/ Sie schrieben schöne Christenlehren,/ Und haben es doch unterdrückt;/ Man schwieg so still, – sie sind ja Christ, -/ Ist Alles recht, – kein Jud‘ es ist./ Ist denn der Jud‘ nicht auch ein Deutscher?/ Wallt nicht in ihm ein deutsches Blut? War er nicht oft ein kühner Streiter,/ Beseelt von einem Heldenmuth?/ O Christen! – welch ein großer Staar! -/ Seht Allen scheint die Sonne klar.“
Was geschah nun in Hochberg: Der Streitpunkt war die Gemeindeholzabgabe. Hierüber in Kürze in Teil 3 mehr.
Fotos: IntelligenzBlatt Waiblingen 4. Juli 1848 / Kreisarchiv Rems-Murr