Rede von 1828 zur Eröffnung der Synagoge in Hochberg
Wir müssen uns bei Google Books bedanken. 2004 begann Google mit der Digitalisierung von urheberrechtsfreien Büchern. Das Unternehmen digitalisiert gedruckte Bücher, indem sie eingescannt werden. Anschließend werden sie mithilfe einer OCR-Software für die Volltextsuche verfügbar gemacht. OCR steht für „Optical Character Recognition“, d.h. für automatische Schrifterkennung. 2009 hat Google Books in der Bibliothek der Columbia University (New York) die 1829 publizierte Rede des Rabbiners Salomon Wassermann aus Laupheim erfasst und digitalisiert, die Wassermann anlässlich der Eröffnung der Synagoge 1828 in Hochberg gehalten hat. Sie ist unbestritten in Deutschland urheberrechtsfrei, da die Schutzfrist des Urheberrechts (70 Jahre nach dem Tod des Urhebers) schon lange abgelaufen ist. Damit ist die Rede Wassermanns ein öffentlich zugängliches Buch.
2019 sind wir bei Recherchen zur Geschichte der jüdischen Gemeinde in Hochberg via „Google Suche“ auf diese Predigt gestoßen. Sie war vollständig in Vergessenheit geraten. In keiner Publikation zur jüdischen Geschichte Hochbergs wird sie erwähnt. Inzwischen wissen wir, dass sich in acht US-amerikanischen Bibliotheken ein Exemplar erhalten hat, zwei Exemplare finden sich in Bibliotheken in Madrid und ein Exemplar in einer Bibliothek in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Die vielen jüdischen Auswanderer aus Hochberg, die ab den 1850er Jahren Hochberg in Richtung USA, aber auch in andere Länder verlassen haben, sind offensichtlich die Ursache für den Erhalt der Predigt in diesen Bibliotheken. Im deutschsprachigen Raum hat sich bisher kein Nachweis gefunden.
Wassermann hält 1828 eine Eröffnungsrede voller Zuversicht. Im gleichen Jahr war in Württemberg das Israelitengesetz verabschiedet worden, dass den Juden erstmals bürgerliche Rechte in nicht allen, aber vielen Lebensbereichen zusprach. Für den Rabbiner war das eine hoffnungsvolle Perspektive, dass der Antisemitismus hinter den Juden liegen könnte. Diese Stimmung der Zuversicht im 19. Jh. hat leider nur ca. 45 Jahre getragen, dann begann schon die antisemitische Hetze im Kaiserreich Fuß zu fassen.
Wie kam es, dass Salomon Wassermann, ein damals sehr bekannter Rabbiner aus Laupheim bei Biberach zur Eröffnung der Synagoge nach Hochberg kam? Die Antwort liegt wohl in der Person des David Weil verborgen, damals Lehrer der jüdischen Schule in Hochberg. Das Israelitengesetz von 1828 brachte nicht nur die erste rechtliche Gleichstellung der Juden, sondern auch die Übertragung staatskirchenrechtlicher Verhältnisse wie sie gegenüber der evangelischen Landeskirche und der Diözese Rottenburg praktiziert wurden, auf die jüdischen Gemeinden: Ein israelitischer Oberkirchenrat wurde gebildet und das religiöse Leben der jüdischen Gemeinden in Württemberg der Staatsaufsicht unterstellt. Im Bildungswesen bedeutete dies, dass alle jüdischen Kinder schulpflichtig wurden und jüdische Schulen Lehrer anstellen mussten, die am staatlichen jüdischen Lehrerseminar in Esslingen eine Prüfung zu bestehen hatten. Während in den meisten jüdischen Landgemeinden erst aufgrund des Gesetzes von 1828 jüdische Schulen eingerichtet wurden, bestand die jüdische Schule in Hochberg schon seit 1810. Ihr Lehrer Lazarus Falk konnte aufgrund der neuen Rechtslage nicht weiter als Pädagoge wirken, da er seine Kenntnisse autodidaktisch erworben hatte. Damit musste sich Lazarus Falk, der Großvater des letzten Hochberger Juden Adolf Falk, künftig als Hausierer und Synagogendiener in Hochberg durchbringen. Die jüdische Gemeinde stellte als ersten zertifizierten Lehrer David Weil aus Laupheim an (Lehrer bis 1847). David Weil wurde am 20. März 1800 als Sohn des Handelsmannes Judas Joseph Weil und seiner Frau Caroline geb. Levi in Laupheim geboren. Am 1. Juni 1827 hatte er vor dem Königlichen Konsistorium seine Lehrerprüfung abgelegt. Die jüdische Gemeinde Hochberg schloss am 23. April 1828 mit ihm einen Anstellungsvertrag. Mitte 1828 wurde die neue Synagoge eingeweiht. Offensichtlich nutzte David Weil seine Kontakte zu seinem Herkunftsort Laupheim, um Salomon Wassermann nach Hochberg zu holen. Die Gemeinde hatte ja keinen eigenen Rabbiner, sondern war dem neu geschaffenen Rabbinat Stuttgart zugeordnet worden, nachdem vor 1828 der Rabbiner in Freudenthal zuständig gewesen war. Vorsänger und damit höchste religiöse Autorität der Hochberger jüdischen Gemeinde war Emanuel Davidsohn, der aber mit 63 Jahren 1833 sein Amt als Vorsänger auch abgeben musste, weil er die jetzt dafür vorgeschriebene staatliche Prüfung nicht bestanden hatte. Nachfolger wurde auch hier David Weil, der somit nun als Lehrer und Vorsänger amtierte – Eine Ämterverbindung, die auch unter seinen Nachfolgern beibehalten wurde, da die staatliche Ausbildung zum jüdischen Lehrer und Vorsänger verbunden worden war.
Dass David Weil die Predigt von 1828 im Jahr 1829 „in den Druck befördert“ (siehe Titelbild), verstehen wir nun besser. Gedruckt wurde die Rede in den „C. F. Nast’schen Schriften“. Das war eine gute Adresse: Christoph Friedrich Nast (1769-1845) war Buchbinder, Verleger und Antiquar in Ludwigsburg und hat 1804 die spätere Buchhandlung Aigner in Ludwigsburg gegründet. 1818 hob er das „Intelligenzblatt des Neckar-Kreises und Ludwigsburger Wochenblatt“ aus der Taufe, den Vorgänger der heutigen Ludwigsburger Kreiszeitung.
Wer sich für die Rede interessiert, kann einen Reprint für 2 Euro bei Beth Shalom auf jedem Rundgang auf jüdischen Spuren durch Hochberg oder durch Bestellung per email (2 Euro plus Porto) erwerben (30 Seiten, Reprint von 2019).