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Judentum

Abraham und Zilla Herz als liberale Juden in Karlsruhe

Abraham und Zilla Herz als liberale Juden in Karlsruhe

In der letzten Woche haben wir über das Leben von Abraham Herz in Hochberg von 1798 bis 1870 berichtet (hier). Seine letzten Lebensjahre bis 1876 verbrachte er mit seiner Frau Zilla in Karlsruhe – ein damals seltener Wohnortwechsel vom Württembergischen ins Badische. Dass die Herkunft seiner Familie aus dem heutigen Bretten eine Rolle beim Ortswechsel spielen mag, haben wir letzte Woche vermutet. Eine Anfrage beim Stadtarchiv Karlsruhe hat nun etwas Licht in diesen damals ungewöhnlichen Umzug gebracht (herzlichen Dank an Jürgen Schuhladen-Krämer vom Stadtarchiv): Die Karlsruher jüdische Gemeinde war mit über 2000 Mitgliedern damals eine der größten und aktivsten in Südwestdeutschland. Die Entwicklung hin zu einer liberalen jüdischen Gemeinde assimilierter Juden gefiel nicht allen Gemeindemitgliedern. Als 1869 die liberale Mehrheit der Gemeinde den Einbau einer Orgel nach dem Vorbild der Kirchen in die Karlsruher Synagoge beschloss, war das der klassische Fehdehandschuh für den orthodoxen Flügel der Gemeinde. 1870, genau im Jahr des Zuzugs von Abraham und Zilla Herz, gründeten die Orthodoxen in Karlsruhe eine eigene Gemeinde. Welcher Gemeinde schlossen sich Abraham und Zilla Herz an? Es sind keine Mitgliederlisten der Gemeinden überliefert, aber es lassen sich eindeutige Hinweise finden: Seit 1872 besaß die orthodoxe Gemeinde einen eigenen Friedhof angrenzend an den neuen Hauptfriedhof Karlsruhe. Abraham Herz wurde aber 1876 genauso wie seine Frau Zilla 1887 auf dem jüdischen Friedhof an der Kriegsstraße bestattet wie alle liberalen Gemeindemitglieder seit der Trennung von Orthodoxen und Liberalen. Auch die Karlsruher Adressbücher des 19. Jh. geben einen Hinweis: Wohnte das Ehepaar Herz 1875 in der Zähringerstr. 43 und 1876 in der Nr. 41, so zog die Witwe Zilla in die spätere Kaiserstr. 34. Das wiederum war ein Wohnhaus im Eigentum der liberalen jüdischen Gemeinde Karlsruhe.
Auch der Grabstein des Ehepaars weist auf Assimilation und liberale Orientierung hin: 1. Es handelt sich um ein Doppelgrab, obwohl Zilla ihren Mann fast 11 Jahre überlebte. Im Judentum war aber ursprünglich chronologische Bestattung in Einzelgräbern üblich. Das Doppelgrab ist eine Adaption aus dem nichtjüdischen Umfeld. 2. Der Grabstein ist in deutscher Sprache gehalten (nicht Hebräisch) und orientiert sich an den damals auch im christlichen Kontext üblichen Angaben: Geburts- und Sterbedatum nach dem gregorianischen (1876 bzw. 1887) und nicht nach dem jüdischen Kalender (5637 bzw. 5648), keine Elogie (Hinweise auf vorbildliche Lebensführung) und kein Segenswort („Ihre Seele sei eingebunden in das Bündel des Lebens“). 3. Als sehr ungewöhnliches Symbol sind zwei Herzen in den Stein eingearbeitet, die auf den Namen und wohl auch auf die Liebe des Ehepaares anspielen. In der traditionellen Symbolik auf jüdischen Grabsteinen ist dies unbekannt. Der Stein ist auf dem jüdischen Friedhof in Karlsruhe erhalten. Die Inschriftenplatte ist aus dem Stein herausgefallen und steht angelehnt vor ihm.
Es gibt also Hinweise genug, dass sich das Ehepaar Herz in Karlsruhe offen zum liberalen Judentum bekannte. Die Hochberger jüdische Gemeinde war aber ursprünglich orthodox ausgerichtet. Aber bereits 1864 erschien in der Zeitschrift „Der Israelit“, dem Sprachrohr des orthodoxen Judentums in Deutschland, ein Artikel, in dem darüber geklagt wurde, dass 22 Hochberger Juden eine Petition für die Zulassung der Mischehe zwischen Juden und Christen unterstützt hätten (mehr hier). Vermutlich gehörte das Ehepaar Herz zu den 22 und wechselte 1870 ganz bewusst in die liberale jüdische Gemeinde in Karlsruhe. Wir haben erneut ein Indiz, dass sich die religiöse Ausrichtung der Hochberger jüdischen Gemeinde in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts geändert hat.

Foto: Staatsarchiv Ludwigsburg EL 228 b II Nr 19393

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