Das Anschreibebuch des Georg Eisler, Hochberg
Im 19. Jh. war es im dörflichen Bereich eine gängige Praxis, bei Handwerkern Produkte in Auftrag zu geben und dann anschreiben zu lassen. Jeder dörfliche Handwerker hatte hierfür ein Anschreibebuch, in das er das gefertigte Produkt und die eingehenden Ratenzahlungen bis zur Tilgung eintrug. Faktisch handelte es sich um einen rechtlich nicht geregelten Lieferantenkredit, für den ein Vertrauensverhältnis zwischen Handwerker und Kunden bestehen musste. In der dörflichen Kultur der damaligen Zeit funktionierte so etwas. Hermann Wildermuth aus Hochberg hat Beth Shalom das Anschreibebuch des Wagnermeisters Georg Eisler zur Verfügung gestellt, das sich in seinem Besitz befindet. Zwischen 1897 und 1925 trug Eisler fein säuberlich alle Ratenzahlungen ein. Meist wurden die Ausstände innerhalb weniger Monate getilgt, manchmal aber auch in die kommenden Jahre übertragen. Es handelt sich in der Regel um Beträge von 5 bis 20 Mark, die in Monatszahlungen von 1 bis 3 Mark getilgt wurden. Ab 1925 ändert sich die Schrift und der Aufbau des Buches. Vermutlich nutzte der Sohn Karl Eisler das Buch bis 1936 weiter. Die Wagnerwerkstatt befand sich ursprünglich am Alexandrinenplatz, dann in der Hochdorfer Straße 8. Es finden sich im Buch die bekannten Hochberger Familien Aupperle, Brandner, Döbele, Maier, Nußbaum, Raiser, Schäfer, Sieber, Wildermuth und viele mehr. Dass die Anschreibepraxis damals gang und gäbe war, sieht man auch daran, dass sogar die Gemeinde Hochberg, die damaligen Schultheißen Wildermuth, Albrecht und Rath, viele Gemeinderäte und „Frau Graf von Beroldingen“ anschreiben ließen.
Den Heimathistorikern der Vergangenheit ist schon aufgefallen, dass die Hochberger Juden nicht in Eislers Buch verzeichnet sind. Hierzu gab es bisher zwei Theorien: 1. Juden haben ihre Aufträge bei jüdischen Handwerkern aufgeben. Das ist nicht sehr wahrscheinlich, da Juden in Württemberg überhaupt erst ab 1828 ein Handwerk erlernen konnten. Der Weber Elsass in Aldingen und der Glaser Löwensohn in Hochberg waren seltene Ausnahmen. 2. Juden waren tendenziell eher wohlhabend und haben ihre Waren gleich bezahlt. Auch das ist nicht sehr wahrscheinlich, denn das 19. Jh. ist dadurch gekennzeichnet, dass die wohlhabenden jüdischen Familien Hochberg Richtung Stuttgart und Ludwigsburg verließen und die armen Familien nach Amerika auswanderten. Die wenigen jüdischen Familien, die in Hochberg zurückblieben, waren mittelständisch geprägt.
Entscheidend ist wohl eher, dass die Aufzeichnungen erst 1897 beginnen. Bis Ende der 1880er Jahre lief die Welle der Amerikaauswanderung. In den 1890er Jahren setzte durch die boomende Wirtschaft im Kaiserreich eine starke Binnenwanderung vom Dorf in die Stadt ein. Auch in Hochberg zogen die letzten jüdischen Familien in dieser Zeit nach Stuttgart, Bad Cannstatt, Ludwigsburg, München usw. um. Ab der Jahrhundertwende lebten nur noch wenige Mitglieder der Familien Berlinger, Falk, Fellheimer, Herz, Israel und Kusiel im Ort. 1907 waren keine zehn männlichen Juden mehr da, um den Minjan, die Mindestzahl für einen Synagogengottesdienst zu erfüllen. Ab 1925 war Adolf Falk der letzte Jude in Hochberg. Das vergleichsweise späte Einsetzen des Anschreibebuches ist daher wohl der Grund, warum die bekannten Familiennamen der Hochberger Juden beim Anschreiben nicht zu finden sind. Und ganz stimmt es auch nicht, denn 1918 erscheint „Metzger Falk“ (also Adolf Falk) im Anschreibebuch. Die Ware hat er gleich bezahlt. Es handelt sich um einen der wenigen Fälle im Buch, bei denen Zahlungen ohne Raten verzeichnet sind. Möglicherweise wurde der Gesamtbetrag zeitlich verzögert ohne Anzahlung bezahlt. Der vierzeilige Text, der mit „Metzger Falk“ beginnt und mit „bezahlt“ endet, ist kaum zu entziffern. Wer kann den hier abgedruckten Abschnitt lesen?
Fotos: Karl Eisler in seiner Wagnerwerkstatt in der Hochdorfer Straße 8 (Bild in Besitz von Hermann Wildermuth, Hochberg); Die Notiz zu Adolf Falk im Anschreibebuch von Georg Eisler 1918