
Der Kirschenhardthof
Der Kirschenhardthof bei Backnang war eine Exklave der Reichsritterschaft Hochberg. Nach deren Übergang an Württemberg gehörte der Hof weiterhin von 1821 bis 1882 zur Gemeinde Hochberg. Von 1856 bis 1873 hatte die pietistische, die Endzeit erwartende Tempelgesellschaft (nicht zu verwechseln mit dem Templerorden) den Hof erworben und bereitete sich hier u.a. mit landwirtschaftlichen Musterprojekten auf die Auswanderung ins Heilige Land im damaligen Osmanischen Reich vor. Sie nannten sich auch „Gesellschaft der Jerusalemfreunde“. Ab 1869 gründeten sie die Templersiedlungen bei Haifa (das erste Dorf hieß Neuhardthof), Jaffa und Jerusalem. Die jüdisch-zionistischen Siedler ab den 1880er Jahren übernahmen von ihnen viele landwirtschaftliche Praktiken. In der britischen Mandatszeit in Palästina sympathisierten vor allem die jungen Templer stark mit dem Nationalsozialismus. Sie konnten mit der Endzeiterwartung ihrer Väter- und Großvätergeneration nichts mehr anfangen und flüchteten in eine andere Ideologie. So gründeten sie eine NSDAP Ortsgruppe Jerusalem. Nach Kriegsausbruch internierten daher die Briten die Templer und deportierten sie nach Australien, wo die Mehrheit nach Kriegsende 1945 verblieb. So gibt es eine Templergemeinde heute nur noch in Stuttgart (mit Sitz in Degerloch), in Australien gibt es fünf Gemeinden. Heute ist die Tempelgesellschaft eine sehr weltoffen ausgerichtete Gemeinschaft.
Die alten Templerhäuser in Israel werden liebevoll gepflegt. Die Siedlungen sind wunderschöne Wohnlagen. Der landwirtschaftliche Pioniergeist der Templer, auf den die Zionisten aufbauten, ist den Israelis sehr bewusst.
Bisher nicht im Bewusstsein ist, dass die Gründer der Templer von 1856 bis 1873 Bürger Hochbergs waren und dass Hochberg damals eine bedeutende jüdische Gemeinde hatte. Wie haben sich die Hochberger Juden zu diesen „christlichen Proto-Zionisten“ verhalten? Zumindest die Hochberger jüdischen Gemeinderäte Herz und Seligmann müssen sich mit den Immobilienkäufen auf dem Kirschenhardthof beschäftigt haben. Welche Rückwirkungen hatte die Templergemeinde Kirschenhardthof auf den Kernort Hochberg? Auf den Templerfriedhöfen in Israel lassen sich 23 Gräber von Einwanderern aus Aldingen, Neckargröningen und Hochberg nachweisen. Am auffälligsten ist wohl die Geschichte von Johann Gottlieb Jauß (1809-1881), der von 1840 bis 1857 Lehrer der Volksschule in Hochberg war, dann seinen Dienst quittierte, auf den Kirschenhardthof zog und 1873 nach Palästina auswanderte, wo er als Lehrer in Jaffa und Jerusalem arbeitete. Der Pietist Jauß leitete an Sonntagabenden Bibelstunden in Hochberg und hatte seit 1849 Kontakt zu den späteren Jerusalemfreunden. Wie war sein Verhältnis zu den jüdischen Dorfschullehrern David Weil (Lehrer in Hochberg 1828-1847) und David Meinhardt (1847-1871)? Wie war sein Verhältnis zur evangelischen Kirchengemeinde? 1854 wurde die renovierte evangelische Schlosskirche mit dem Davidstern über dem Eingangsportal versehen. Hatten die Jerusalemfreunde diesbezüglich Einfluss? Hier gibt es noch Einiges zu klären.
Foto: Stadtarchiv Remseck. Kirschenhardthof Schultheißerei Hochberg, Situationsplan 1871 mit den Höfen Kienzle, Dieterle und Knefer