
Die Hochberger Judenordnung von 1780
Herzog Friedrich Eugen von Württemberg erwarb 1779 die Herrschaft Hochberg von Weiprecht von Gemmingen. Friedrich Eugen führte 1779 das Leben eines zurückgezogenen Landedelmanns in der württembergischen Grafschaft Mömpelgard (heute Montbéliard, Frankreich) nach Jahren des Militärdienstes in Preußen. Erst 1795 sollte er überraschend für nur zweieinhalb Jahre regierender Herzog von Württemberg werden. Schon 1781 verkaufte Friedrich Eugen Hochberg an seinen Bruder Karl Eugen weiter, den damals regierenden Herzog von Württemberg. Erst durch diesen Weiterverkauf kam Hochberg in den Besitz der herzoglichen Hofkammer und später zu Württemberg. In der kurzen Regierungszeit Friedrich Eugens in Hochberg als vom Kaiser belehnter Reichsritter in der Nachfolge der von Gemmingen von 1779 bis 1781 wurde die Hochberger Judenordnung erlassen. In 28 Paragrafen wurde detailliert das Leben der Juden in Hochberg geregelt. 40 Jahre galt diese Ordnung, bis Hochberg 1821 endgültig im württembergischen Staat aufging. Anlass für den Erlass der Hochberger Judenordnung 1780 waren offensichtlich Konflikte: „Wir von Gottes Gnaden Friedrich Eugen, Herzog zu Württemberg und Teck …, Herr … auch der Immediaten (reichsunmittelbaren) Herrschaft zu Hochberg … haben … uns … entschlossen …, die bey der Übernahme der Herrschaft Hochberg allhier ansässig gewesene Juden in Unseren besonderen Schutz und Schirm zu nehmen, zugleich aber auch wegen den unter ihnen eingerissenen Unordnungen für nöthig erachtet, eine besondere Juden-Ordnung zu errichten.“ In § 1 wird eingeschärft, dass sich die Juden „still, verträglich und unklagbar“ zu verhalten haben. Hiervon wird der Status des Schutzjuden abhängig gemacht. So sie sich „auf solche Weise betragen“ wird ihnen in § 2 „Schutz und Schirm gegen all diejenigen, welche sie gefährten oder boshafter Weise antasten würde, gnädigst zugesichert.“ Die „freye Übung ihrer Religion“ wird zugesagt, wenn diese „still“ erfolgt und die Juden „keine Lästerung gegen … die christliche Religion ausstossen“. § 3 regelt, dass die von Friedrich Eugen ernannten Vorsteher der jüdischen Gemeinde für die Regelung von Streitfragen „in Sachen, die jüdische Religion oder Ceremonien betreffend“ zuständig sind. In allen bürgerlichen Angelegenheiten sind die Juden aber der herrschaftlichen Gerichtsbarkeit unterstellt. § 4 legt die Konflikte offen, die zum Erlass der Judenordnung geführt haben: Ein auswärtiger Rabbiner soll eine Gottesdienstordnung („Reglement“) erlassen, um „für die Zukunft“ Anlässe „zu Zwistigkeiten und Unordnungen in Sachen, welche die Religion und Gottesdienstliche Gebräuche betreffen“ zu unterbinden. § 6 führt aus, dass die Judenvorsteher Samuel Isaak und Abraham Gideon für die Einhaltung des Reglements verantwortlich sind und Geldstrafen für Übertretungen verhängen sollen, die der Herrschaft anzuzeigen sind und je hälftig in die jüdische und die herrschaftliche Kasse abgeführt werden müssen. In § 8 wird das Schutzgeld geregelt, das die Juden abzuführen haben: Jeder Schutzjude hat jährlich 5 Gulden in Vierteljahresraten zu zahlen. Zusätzlich müssen die Juden statt der am Martinstag von den Christen als Zehnt an die Herrschaft abzuführenden Martinsgans 1 Gulden 30 Kreuzer zahlen. 2 Gulden müssen für „Frohnen, Einquartirungen, Soldaten-Durchmärsche und dergleichen“ pauschal abgeführt werden. 30 Kreuzer fallen „für Wasser und Wayd wie auch das Baad“ jährlich an. Insgesamt sind somit pro Schutzjuden 9 Gulden jährlich abzuführen, da 60 Kreuzer 1 Gulden waren. Der Betrag war somit nur halb so hoch wie in Freudental, das für sein vergleichsweise hohes Schutzgeld bekannt war. § 9 regelte nun, dass der Status des Schutzjuden sich nur auf den „Haus-Vatter“ bezog und nicht vererbbar war. Vierteljährlich mussten die Judenvorsteher eine aktuelle Liste beim Oberamt in Waiblingen abgeben, die die Namen der Ehefrau, Kinder und Gesinde eines jeden Schutzjuden enthielt. Eine den Haushalt eines Schutzjuden verlassende Magd oder ein Knecht musste aus Hochberg umgehend weggehen und durfte nicht einfach in einen anderen jüdischen Haushalt wechseln. Dies war nur nach einem halben Jahr Abwesenheit möglich. Nach §10 sind die Kinder so lange dem Haushalt des Schutzjuden zugeordnet, so die Töchter unverheiratet sind bzw. die Söhne keinen „eigenen Handel treiben“. §11 legt fest, dass jeder jüdische Haushalt nur zwei Bedienstete haben darf. §12 regelt, dass auch die „Mutter, Schwieger-Mutter oder unverheurathete Schwestern“ des Schutzjuden sowie „unvermögende Anverwandte“, die kein eigenes Gewerbe treiben und vom Hausvater verköstigt werden, in dessen Haushalt leben dürfen. Nach §13 ist die Gewährung des Schutzjudenstatus an selbständig werdende Kinder eines Schutzjuden abhängig von deren wirtschaftlichen Verhältnissen. Die wirtschaftlichen Absichten und die Vermögensverhältnisse sind dem Oberamt zu melden. Das Oberamt muss dann „genaue Erkundigung“ im Ort durchführen und Friedrich Eugen, dem Ortsherrn, eine Empfehlung vorlegen. Sollte der Ortsherr den Antrag abschlägig bescheiden, muss der Antragsteller Hochberg binnen acht Tagen verlassen. §14 legt fest, dass die Witwe und die Familie eines verstorbenen Schutzjuden Hochberg drei Monate nach dem Tod des Hausvaters verlassen müssen, es sei denn ein Kind besitzt oder erlangt selbst diesen Status. §15 regelt den vorübergehenden Aufenthalt ortsfremder Juden in Hochberg. Dieses Thema habe eine „große Unordnung“ hervorgerufen und müsse daher genau geregelt werden. Ortsfremde Juden hätten sich für „hiesige Juden ausgegeben“, seien „bey betrüglichen Händeln“ erwischt worden und hätten dadurch „Unsere Judenschaft in großen Mißcredit gesezt“. Übernachtungen von ortsfremden Juden müssen daher bei den Judenvorstehern angemeldet werden. Diese haben das Genehmigungsrecht für eine Nacht, mehrere Tage müssen beim Oberamt angezeigt werden und sind nur unter besonderen Umständen (z.B. Krankheit) möglich. Jüdische Hausierer, die „über den Sabbath“ nach Hochberg kommen, haben den Ort am Samstagabend somit wieder zu verlassen. Wer sich als Ortsfremder „zu Haltung seines Sabbaths oder anderer Feyer-Täge“ in Hochberg aufhalte, musste nach §16 drei Kreuzer an die Judenvorsteher zahlen. „Bettel-Juden“ seien von der Zahlung „ausgeschlossen“. Nach §18 durfte jeder Haushalt maximal vier „Bettel-Juden“ für eine Nacht aufnehmen. Das jüdische Religionsgesetz empfiehlt, Bedürftigen, die zum Sabbat keinen Ort haben, durch Mahlzeiten und Unterkunft zu helfen. Insgesamt zielten die Regelungen darauf ab, das Wachstum der jüdischen Gemeinde zu beschränken, öffentliche Fürsorgefälle auszuschließen und den Besuch ortsfremder Juden am Freitagabend in Hochberg einzuschränken und zeitlich zu begrenzen.
Da die Hochberger jüdische Gemeinde die einzige in weitem Umkreis war, legt §17 die Kosten fest, die auswärtige Juden für Hochzeits-, Beschneidungs- und andere Feiern in Hochberg zu entrichten haben. §19 regelt, dass „Tänze und Musikcanten“ bei „Hochzeiten, Beschneidungen und dergleichen“ vom Oberamt genehmigt werden müssen. §20 schärft ein, dass die Schutzjuden beim Handeltreiben „aufrichtig und ehrlich zu Werk gehen“ und keinen „unerlaubten Wucher“ nehmen sollen. Sollte ein Hochberger Schutzjude im Württembergischen „betrüglicher Händel“ überführt werden, wird er „aus dem Ort geschafft“. Ist die betroffene Person Hausbesitzer, so muss das Haus binnen zwei Monaten verkauft werden. Gelingt dies nicht, wird die Immobilie vom Oberamt versteigert. Dasselbe gilt nach §21 für Knechte von Schutzjuden. Für deren Vergehen muss der Hausvater aber auch noch Verantwortung übernehmen und eine Strafe zahlen. Geschäfte mit ortsansässigen Christen in Hochberg, Hochdorf und Kirschenhardthof müssen nach §22 dem Oberamt gemeldet werden. Alle Käufe- und Verkäufe über 10 Gulden müssen in ein „Contracten-Buch“ beim Oberamt eingetragen werden (§23). §§ 24 u. 25 verbieten Geschäfte mit Hehlerware. Die Erzeugung und der Ausschank von koscherem Wein ist Thema in §26: Die Produktion muss dem Oberamt gemeldet, die Fässer müssen vorgezeigt und mit einem Siegel versehen werden und die für Wein übliche Umsatzsteuer („Umgeld“) ist zu zahlen. §27 widmet sich dem Schächten: Geschlachtete Stück Vieh dürfen „nicht Pfund- sondern bloß Viertelweiß“ verkauft werden. Der Schächter muss „Gesundheits-Urkunden“ vorweisen und die Zunge des Tieres an die herrschaftliche Küche abliefern. Letzteres war im 18. Jh. eine übliche Praxis in vielen Adelsherrschaften gegenüber Juden wie Christen, da die Zunge als Delikatesse galt und man einen genauen zahlenmäßigen Überblick über das Schlachten hatte. Zum Schluss schärft §28 noch einmal ein, dass die Schutzjudenschaft sich in allen Punkten an die Ordnung halten müsse, ansonsten gehe „ohne Ansehen der Person“ der Schutz verloren. Insgesamt handelt es sich um sehr scharfe Regelungen, die als Reaktion des Ortsherren Friedrich Eugen von Württemberg auf Vorhaltungen aus der christlichen Mehrheitsgesellschaft zu verstehen sind.
In der wissenschaftlichen Literatur wird einhellig die Auffassung vertreten, dass die Hochberger Ordnung im Freudentaler Judenedikt von 1731 ihr Vorbild hat, aber verschärft wurde (Paul Sauer, Theobald Nebel, Gertrud Bolay). Zunächst ist dies auch naheliegend, denn wie Hochberg war Freudental ein zur herzoglichen Hofkammer gehörender, aber in Württemberg nicht direkt inkorporierter Ort. Räumliche Nähe, identischer rechtlicher Rahmen und die damalige Zuordnung der Hochberger Juden zum Rabbinat Freudental lassen diesen Zusammenhang geradezu erwarten. Liest man das Freudentaler Judenedikt, begegnet einem aber eine Rechtsordnung mit einem ganz anderen Geist als dem der Hochberger: Die Freudentaler Ordnung ist von einer geradezu liberalen Grundüberzeugung getragen: Betont wird, dass die Juden im Ort frei Handel treiben und gleichberechtigt mit den Christen die Allmendegüter nutzen dürfen. Die jüdischen und christlichen Feiertage sollen gegenseitig respektiert werden. Kreditgeschäfte mit den ortsansässigen Christen sind ausdrücklich für 6 Prozent Zinsen erlaubt, lediglich Immobilien dürfen nur mit amtlicher Zustimmung verpfändet werden. Christliche Dienstboten werden den jüdischen Familien „an ihren Sabbathen“ ausdrücklich genehmigt (sog. „Schabbesgois“). Auch „Betteljuden“ dürfen für eine Nacht beherbergt werden. Auch die Anlage eines Friedhofs, einer neuen Synagoge und eines Ritualbades (Mikwe) wird ausdrücklich geregelt. Zu letzterem findet sich in der Hochberger Ordnung kein Wort. Auch ist der Geist der Hochberger Ordnung völlig gegensätzlich: Die Rechte der Juden werden an ihr Wohlverhalten gebunden und die Möglichkeit des Schutzverlustes ständig betont. Die Grundidee ist, dass jüdisches Leben und Wirtschaften streng kontrolliert, der Zuzug begrenzt und streng beobachtet werden muss und das Damoklesschwert des Schutzverlustes ständig über den jüdischen Familien schwebt.
Sucht man nun nach historischen Entsprechungen, so wird man beim Preußischen Generaljudenreglement von 1750 fündig. Die 28 Paragrafen der Hochberger Judenordnung orientieren sich komplett, teilweise fast wortgleich, an diesem Vorbild. Der preußische König Friedrich der Große galt zwar als aufgeklärter Monarch („jeder soll nach seiner Façon selig werden“). Diese Toleranz bezog sich aber nur auf Lutheraner, Katholiken und Calvinisten, also christliche Konfessionen, in seinem Königreich. Seine Politik gegenüber den Juden verweigerte ihnen elementarste Rechte und zielte darauf ab, die Zahl der Juden möglichst gering zu halten, ihren wirtschaftlichen Nutzen aber zu optimieren. Es gilt als geradezu paradox, dass in diesem Umfeld mit Moses Mendelssohn die jüdische Aufklärung in Berlin ihren Anfang nahm.
Wie kommen diese restriktiven preußischen Regelungen aber nun nach Hochberg? Die Antwort gibt der Lebenslauf Friedrich Eugens von Württemberg, des Ortsherrn von Hochberg: Der 1732 geborene württembergische Prinz wurde schon als Neunjähriger 1741 für drei Jahre zur Ausbildung an den Hof Friedrich des Großen nach Berlin geschickt. Von 1749 bis 1769 stand er im preußischen Militärdienst. Im Siebenjährigen Krieg sind verschiedene Verteidigungsoperationen mit seinem Namen verbunden (Entsatz von Berlin, Verteidigung Pommerns und Mecklenburgs, Verteidigung Kolbergs gegen russische Belagerung über 23 Wochen). Seit 1753 war Friedrich Eugen mit einer Nichte Friedrich des Großen verheiratet: Friederike Dorothea von Brandenburg-Schwedt. Aus der Ehe, die als „echte Liebesheirat“ galt, gingen 13 Kinder hervor. Als Friedrich Eugen 1779 Hochberg erwarb, war er vollständig durch seine Erfahrungen in Preußen geprägt und führte absolutistische preußische Regelungen zu den Juden auch in seiner Reichsritterschaft ein. Die liberale Freudentaler Judenpolitik wurde in Hochberg gerade nicht fortgeführt, sondern im Gegenteil radikal restriktiv ausgerichtet.
Foto: Wikimedia Commons. Friedrich Eugen von Württemberg, ca. 1750-1759.