Die 1848er-Revolution in Hochberg (Teil 1)
2023 ist die 1848er-Revolution 175 Jahre her. Das soll Anlass sein, parallel im Jahreslauf die damaligen Ereignisse in Hochberg, die eng mit der jüdischen Gemeinde verknüpft waren, Revue passieren zu lassen. Die „antijüdischen Krawalle“ 1848 in Hochberg haben es in das Standardwerk von Stefan Rohrbacher „Gewalt im Biedermeier. Antijüdische Ausschreitungen im Vormärz und Revolution (1815-1848/49)“ aus dem Jahr 1993 geschafft. Ob die Konfliktlinie im Dorf wirklich zwischen Juden und Christen lief, gilt es zu überprüfen.
Zum letzten Mal hat sich 1955 und 1957 der Hochberger Heimatforscher Wilhelm Streng mit dem Revolutionsjahr im Dorf beschäftigt. Seine Aufsätze sind damals in „Hie gut Württemberg. Heimatkundliche Beilage zur Ludwigsburger Kreiszeitung“ erschienen. Alle späteren Darstellungen greifen auf diese Veröffentlichungen zurück bzw. fußen auf deren Zusammenfassung im Buch „Judendörfer in Württemberg“ von Utz Jeggle aus dem Jahr 1969, das große Verbreitung fand, während die ursprünglichen Streng-Aufsätze nur noch in wenigen Bibliotheken zu finden sind.
Wie startete Hochberg vor 175 Jahren ins neue Jahr? Wie 2023 mit einer hohen Inflation! Die Ursachen lagen im Gegensatz zu heute in der letzten großen agrarischen Wirtschaftskrise in Deutschland: Aufgrund von Missernten und der Kraut- und Knollenfäule, die die Kartoffelernte vernichtet hatte, waren 1847 die Lebensmittelpreise explodiert. Die ärmeren Bevölkerungsschichten mussten immer höhere Einkommensanteile für Grundnahrungsmittel ausgeben und die Nachfrage nach anderen Gütern ging stark zurück. Die Agrarkrise wuchs sich so zu einer allgemeinen Wirtschaftskrise aus. Hungerkrawalle in Ulm und Stuttgart 1847 hatten die revolutionäre Stimmung schon angekündigt. Anders als im großen Hungerjahr 1816 („Jahr ohne Sommer“), das zu keiner Revolution geführt hatte, war das politische Bewusstsein inzwischen in breiten Bevölkerungsschichten gewachsen. Es brodelte im Ländle.
In Hochberg wurde diese Situation auch im Kleinen spürbar: Der vielfältig aktive jüdische Kaufmann Louis Fellheimer, 1839-1844 auch Rosenwirt und seit 1843 zusätzlich Inhaber einer Feuerversicherungsagentur, ging bankrott wegen „der Stockung des Handelsgewerbes bei jetziger Zeit“ wie es im Gemeinderatsprotokoll heißt. Auch vier weitere jüdische Kaufleute gerieten in finanzielle Schieflage. Die Steuereinnahmen gingen zurück. Der Haushalt der Gemeinde schloss 1847/48 mit einem Defizit von 736 Gulden ab, was damals als „Fleckenschaden“ auf die gesamte Bevölkerung umgelegt wurde und die Stimmung weiter radikalisierte. Als die Nachricht von der Revolution in Frankreich Ende Februar 1848 nach Deutschland drang, war das der Funke, der das durch die Wirtschaftskrise bereitete Pulverfass zur Explosion brachte (Fortsetzung folgt).
Louis Fellheimer wanderte mit Familie nach der Revolution 1854 mit einer großen Auswandererwelle aus Hochberg nach Amerika aus. Überliefert ist eine Sammelbeschwerde der Passagiere des Dampfers Indiana, der die Auswanderer unter katastrophalen Bedingungen an Bord von Le Havre nach New York brachte. Nachkommen Fellheimers sind in New York nachweisbar.