Adolf Falk: „Ich kenne Sie nicht!“
Brigitte Neidlein aus Hochberg erzählte uns im Mai 2023 eine Geschichte, die ihr Großvater Georg Kühnle erlebt und in der Familie weitergegeben hat:
Georg Kühnle gehörte von 1920 bis ca. 1932 die Gaststätte Rose in Hochberg. Diese Gastwirtschaft in der Hauptstr. 16 war bis 1869 die jüdische Gaststätte in Hochberg gewesen und ging anschließend an christliche Besitzer über. Georg Kühnle war damit als Rosenwirt ungefähr 12 Jahre der direkte Nachbar von Adolf Falk, dem letzten Hochberger Juden, der seit 1886 im Nachbarhaus in der Hauptstraße 18 lebte. Man kannte und schätzte sich. Mit dem Umzug von Georg Kühnle nach Ludwigsburg um 1932 verlor man sich aber aus den Augen.
Eines Tages stand Georg Kühnle am Ludwigsburger Bahnhof und sah Adolf Falk. Erfreut ging er auf ihn zu und begrüßte ihn. Adolf Falk antworte ohne Regung. „Ich kenne Sie nicht!“ und beharrte hierauf mehrfach. Georg Kühnle verstand diese Reaktion zunächst nicht, bis Adolf Falk ihm schließlich zuflüsterte: „Herr Kühnle, gehen Sie weiter. Wir werden beobachtet.“
Diese Begebenheit lässt sich auf den 20. Juli 1939 datieren. An diesem Tag emigrierte Adolf Falk nach England zu seinem Sohn und dies offensichtlich unter scharfer Beobachtung des NS-Staates. Die nach der Reichspogromnacht am 12. November 1938 erlassene „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“ hatte dem 81jährigen die Lebensgrundlage in Hochberg entzogen. Mit dieser Verordnung wurde Juden der Betrieb von Einzelhandelsverkaufsstellen sowie die selbständige Führung eines Handwerksbetriebs zum Jahresende 1938 verboten. Am 3. Dezember 1938 folgte die „Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens“, die Juden zum Verkauf ihrer Immobilien zwang sowie ihnen die Verfügung über ihre Ersparnisse entzog. Adolf Falk ging damit die wirtschaftliche Existenz durch Berufsverbot, Wohnhausverlust und Zugriff auf sein Vermögen verloren. Am 21. November 1938 wurde verfügt, dass alle Juden mit einem Vermögen über 5.000 RM 20 Prozent davon bis zum 15. August 1939 an ihr Finanzamt abführen mussten. Adolf Falk musste 1.800 RM als „Judenvermögensabgabe“ zahlen und verkaufte am 2. Februar 1939 sein Haus, in dem er aber noch bis Sommer 1939 dank der neuen Eigentümer wohnen durfte. Am 20. Juli 1939 ist er nach England ausgewandert. Noch an diesem Tag schützte er seinen alten Nachbarn Georg Kühnle durch Verleugnung vor Nachstellungen des NS-Staates.
Foto: Adolf und Karoline Falk vor ihrem Haus in der Hauptstr. 18 vor 1925 (Stadtarchiv Remseck)